Kolumnen von Benedikt Weibel

Müssiggang

"Wandermagazin Schweiz" 1. Juni 2016

Am Ursprung neuer Ideen steht die Kreativität. Sie ist das Salz aller wissenschaftlicher, technischer und künstlerischer Entwicklungen. Die Forschung setzt sich seit langer Zeit mir der Kreativität auseinander. Ziel ist, den Prozess zur Generierung neuer Ideen zu systematisieren. Bis heute ohne Erfolg. Fast resignierend stellt einer der führenden Wissenschafter fest, dass Kreativität in den verborgenen Winkeln unseres Geistes stattfindet, auf die unser Bewusstsein keinen Zugriff hat. Eines haben die Untersuchungen der Kreativitätsforscher immerhin zu Tage gebracht: Müssiggang fördert die Kreativität. Schon im Wort Müssiggang liegt die Weisheit, schrieb Carl Zuckmayer, denn echte Musse gibt es nur beim Gehen. Karl Gottlob Schelle hat darüber bereits 1802 ein Buch mit dem Titel Einfluss des einsamen Spazierengehens im Freyen auf Entwicklung des eigenen Geistes geschrieben. Die Entwicklung des Geistes ist im Zimmer nicht möglich, schreibt er, erst beim Gehen entwickelt sich der Umgang mit sich selbst. Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman drückt es nüchterner aus: „Tatsächlich vermute ich, dass die leichte körperliche Aktivierung durch den Spaziergang zu einer grösseren geistigen Agilität führt.“

Deshalb bauen viele Wissenschafter und Künstler einen Spaziergang in ihre tägliche Routine ein. Papier und Stift sind immer dabei, damit spontane Einfälle notiert werden können. Steve Jobs erörterte fundamentale Probleme während langer Spaziergänge. In Princeton, wo neben Einstein viele der klügsten Menschen geforscht haben, ist der Spaziergang im Park ein Ritual Es gibt auch andere Methoden. Woody Allen flogen die kreativen Ideen beim Duschen zu. Google hat in seinen Hauptquartieren Hüpfburgen eingerichtet. Nichts aber schlägt die Effizienz des Gehens. Der Spaziergang braucht keine Zeit für An- und Rückfahrt. Er kostet nichts. Und er hat einen dreifachen Nutzen: Er dient der Reflexion, der Erholung und er fördert die Kreativität.

Benedikt Weibel