Kolumnen von Benedikt Weibel

Die Rübe und das Kaninchen

"Persönlich" 1. April 2016

Was treibt uns an? Die Motivation, heisst die gängige Antwort. Es ist allerdings alles andere als einfach, schon nur seine eigene Motivation zu ergründen. Auf die Motivation anderer zu schliessen, ist noch schwieriger. Wenn man näheres wissen will, braucht es Experimente, Befragungen und Langzeitbeobachtungen. Daraus werden Erklärungsmodelle abgeleitet. Das berühmteste ist die Motivations-Pyramide von Maslow, die sich seit Jahrzehnten an der Spitze aller Motivationstheorien gehalten hat. Auch die Unterscheidung von intrinsischer und extrinsischer Motivation gehört zum eisernen Bestand an motivationstheoretischem Basiswissen. Befasst man sich mit der aktuellen wissenschaftlichen Literatur, ist allerdings überhaupt nichts mehr klar. Einer der Granden der deutschen Psychologie stuft den Stand der Motivationsforschung auf der Stufe „Erde, Luft, Feuer, Wasser“ ein. All diese eingängigen Modelle werden demnach ins Fach der Küchenpsychologie verwiesen.

Einzelne Aspekte der Motivation sind der wissenschaftlichen Erforschung besser zugänglich als das Phänomen an sich. Dazu gehört insbesondere die Leistungsmotivation. Ein Ziel erreichen zu wollen, ist ohne Zweifel ein starker Antrieb. Deshalb schreibt Henry Ford in seiner Biographie: „Ein gemeinsames Ziel, an das man ehrlich glaubt und das man aufrichtig zu erreichen wünscht, ist das allmächtigste, einigende Prinzip.“ Die Wissenschaft hat insbesondere den Zusammenhang zwischen dem Anspruchsniveau eines Zieles und der Motivation untersucht. Je höher das Anspruchsniveau, desto geringer die Erfolgswahrscheinlichkeit. Je höher die Erfolgswahrscheinlichkeit, desto tiefer der Leistungsanreiz. Die Motivation steigt bis zu einem gewissen Anspruchsniveau und beginnt dann zu sinken, wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit zu tief wird. Am grössten ist der Anreiz bei Aufgaben, die mit maximalem Einsatz gerade noch bewältigt werden können.

Wie hoch soll man Ziele setzen? Die erste Antwort, die man auf diese Frage erhält, ist immer die gleiche: „Die Ziele müssen erreichbar sein.“ Das widerspricht dem wissenschaftlichen Befund, nach welchem eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit den Leistungsanreiz reduziert. Wenn man nachfragt, kommt dann irgendwann das Wort „anspruchsvoll“. Das ist schon besser. Aber wie anspruchsvoll? Zu ehrgeizige Ziele können fatale Wirkungen haben. Die Deutsche Bank deklarierte 25 Prozent Eigenkapitalrendite zu ihrem strategischen Ziel. Sie leidet noch heute unter den Folgen. Toyota, damals unbestritten die beste Firma der Welt, wollte die Marke von zehn Millionen verkaufter Autos pro Jahr knacken. Das starke Wachstum führte zu Qualitätsproblemen, mit denen Toyota noch heute zu kämpfen hat. Volkswagen liess sich von dieser Erfahrung nicht abschrecken und wollte die grösse Automobilfirma der Welt werden. Mit den bekannten Folgen.

Die beste Formel, die ich kenne, geht so: Die Rübe ist für das Kaninchen so hoch zu hängen, dass es sie gerade nicht erreicht.

Benedikt Weibel