Kolumnen von Benedikt Weibel
Jenseits der Ratio
"Persönlich" 7. Oktober 2008
Ich habe während meiner langen Jahre als Bahnchef viele Referate gehalten. Fast immer habe ich am Schluss mein Lieblingsplakat gezeigt. Eine junge Frau im Bahnabteil, ein Buch lesend, der Blick aus dem Fenster zeigt einen See, die Legende: 17 Seiten/h. Dem Auditorium habe ich dabei erklärt, dass es neben all den Fakten, die ich präsentiert habe, auch eine starke emotionelle Seite bei der Bahn gibt.
Einmal hat nach mir der Chef von Cartier Schweiz gesprochen. Er hat mein Bild aufgenommen und gesagt, bei ihm beginne es da, wo ich aufgehört hätte. Er verkaufe nämlich bei Cartier nur Emotionen. Das war mein erstes Schlüsselereignis, welches mich dazu geführt hat, der emotionellen Seite des Geschäftes mehr Gewicht zuzumessen.
Das zweite Schlüsselerlebnis war der Crash der Swissair. Als ihre Nachfolgegesellschaft, die SWISS, entstanden war, wurde Tylor Brulé mit dem Branding der Firma beauftragt. Mit einer millionenschweren Kampagne sollte die neue Marke wieder mit Emotionen gefüllt werden. Erst da ist mir bewusst geworden, über welch gewaltiges Kapital an Emotionen die Bahn im Allgemeinen und die SBB im Besonderen verfügen. Spät, aber immerhin, habe ich eine "Brand-Sensibilität" entwickelt. Es wurde mir klar, dass der Sturz der Swissair ein Vakuum und das Bedürfnis nach einer gesamtschweizerischen Klammer erzeugt hat. Die SBB mit ihren urschweizerischen Werten zuverlässig, sauber und pünktlich bot sich als die Alternative an.
Brand-Sensibilität führt dazu, dass man sich intensiv mit den brandbestimmenden Elementen einer Unternehmung bzw. einer Marke auseinander setzt. Bei einer Bahn sind das die Züge, die Bahnhöfe und das Personal an den Schaltern, in den Zügen, in den Bahnhöfen und im Management. Von besonderer Bedeutung sind die Bahnhöfe. Es gibt sie immer noch, diese Industriekathedralen aus der Gründerzeit der Bahn, welche die Bedeutung eines Ortes und seine Verbindung zu grossen Welt symbolisieren. Die Pioniere der Bahn waren weder Marketingleute, noch wussten sie, was ein Brand ist. Aber Sensibilität für die emotionelle Seite ihres Geschäftes hatten sie. Das kann man von ihren Nachfolgern nicht behaupten. Sie haben die Bedeutung der Bahnhöfe als Visitenkarte für ihre Unternehmung und die Städte verkannt. Auch das war brandbildend. Das Wort "Bahnhofviertel" bringt zum Ausdruck, welche Emotionen man mit verkommenen Bahnhöfen und ihrer Umgebung verbindet. In der Zwischenzeit hat ein Revival eingesetzt, in der Schweiz schon recht flächendeckend, anderswo in Europa noch eher zaghaft.
Viele Manager sind links-Hirn-lastig. Das Gespür für Emotionen geht ihnen ab. Natürlich wissen sie über die Bedeutung des Brands. Deshalb halten sie Brandpolizisten, welche über die saubere Verwendung des Logos wachen. Consultents werden mit der Überprüfung der Corporate Identity beauftragt. Die lassen sich nicht zwei Mal bitten. So entstehen Gebilde wie "1to1 energy - Strom ist einfach da". Und Telekomfirmen ändern mit gewaltigem Aufwand ihre gerade erst flügge gewordenen visuellen Auftritte.
Die haben eines nicht begriffen. Brands sind konservativ. In einer Welt, in der sich alles rasend schnell ändert, stehen starke Marken für Verlässlichkeit. Und gutes Marketing basiert auf Konstanz. Die genannten Beispiele sind übrigens nicht zufällig. Es sind Firmen in Märkten, die erst seit kurzer Zeit liberalisiert wurden oder sich auf dem Weg der Liberalisierung befinden. Ihre Marketingbudgets wurden massiv erhöht, man muss sich ja jetzt im Wettbewerb durchsetzen. Mit ihren Kampagnen wollen sie zeigen, dass sie in der neuen Welt angekommen sind. Nicht nur visuell, auch sprachlich. Ob sie damit das Herz ihrer Stammkunden erreichen, ist oft zweifelhaft.
Vor Pauschalurteilen will ich mich allerdings hüten. Eine Telecomfirma ganz in der Farbe holländischer Fussball Fans demonstriert nämlich, was gutes Brandbuilding und Konstanz im Marketing heisst.
Benedikt Weibel