Kolumnen von Benedikt Weibel
Zerstörerische Kultur
"Persönlich" 1. Dezember 2015
Kein Grund für die Krise einer Unternehmung wird in den Medien häufiger genannt als ihre „Kultur“. Die UBS hat eine „grobfahrlässige Kultur“ oder gar eine „zerstörerische Kultur“. Die Deutsche Bank eine „Kultur des Wegsehens“. Novartis eine „Kultur der Angst“. Volkswagen eine „Kultur des Versteckens“ und die FIFA eine „Kultur des Tricksens und Bestechens“.
Kulturwandel ist folgerichtig die angesagteste Massnahme, um aus dem Schlamassel herauszukommen. Immer wieder wird er vollmundig verkündet. Zum Beispiel von einer neueingesetzten Doppelführung der Deutschen Bank, die inzwischen wegen ausbleibenden Kulturwandels schon wieder vom Hof gejagt wurde. Wenn man den Deklarationen von CEO’s zuhört, kriegt man oft den Eindruck, die Kultur sei ein Hebel, den man einfach umlegen kann. Das ist ein Missverständnis. Wie bei dem Eishockey- Trainer, der den Medien berichtete, wie er die Kultur seines Clubs verändert hat. Den Spielern wurde verboten, an die Vergangenheit zu denken und die Garderobe hat man in den Clubfarben streichen lassen. Wenig später wurde der Trainer wegen Erfolglosigkeit entlassen.
Kultur ist nicht Input, sondern Output. Das sind gemeinsame Werte und Verhaltensmuster. Sie ist das Resultat von Geschichte, Tradition und ungeschriebenen Regeln. Der Wissenschaftsjournalist Malcolm Gladwell umschreibt das Phänomen: „Unser kulturelles Erbe ist eine mächtige Kraft. Es ist tief verwurzelt und äusserst langlebig. Über Generationen hinweg überlebt es nahezu unverändert, selbst wenn die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und demografischen Rahmenbedingungen, die es hervorgebracht haben, längst verschwunden sind.“
Zum Beispiel die FIFA. Dort wird Hof gehalten. Man residiert in einem Schloss auf einem Schlosshügel. Der Umgang ist geprägt durch ein System von Herrschen und Schleimen. „Mit epischer Wucht bricht nun das Günstlingssystem zusammen“, konnte man dieser Tage lesen. Eine derart existenzielle Krise ist die wohl einzige Chance, eine Kultur fundamental zu verändern. Aus dem System heraus ist das kaum möglich. „Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken“, sagt man. Deshalb ist ein Kulturwandel ohne eine neue Führungsequipe mit Sachverstand und unbelasteter Vergangenheit kaum zu schaffen.
Die oberste Verantwortung für eine Institution trägt der Verwaltungsrat oder ein analoges Organ der Oberleitung. Also auch für eine gedeihliche Unternehmenskultur. Vor zwei Jahren hat der „Spiegel“ eine Titelgeschichte über den Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen publiziert. Das war ein eigentliches Kultur-Audit von Volkswagen. Im Zentrum der ungeheuerliche Satz „Volkswagen ist Nordkorea minus Arbeitslager“. Es scheint nicht, dass das den Aufsichtsrat von VW beunruhigt hat. Es ist eine Tatsache, dass eine abwegige Kultur die Substanz einer Institution zerstören kann. Deshalb müssten alle Verwaltungsräte und sonstigen Oberleitungen umgehend ein systematisches „Kultur-Controlling“ einführen.
Benedikt Weibel