Kolumnen von Benedikt Weibel
Überall Flächenfeuer
"Persönlich" 1. November 2015
Ich war einmal Offizier der Schweizer Armee. In der Offiziersschule hatte ich etwas fürs Leben gelernt. Der Wirkungsgrad des gezielten Einzelfeuers ist ungleich höher als jener des Flächenfeuers. Man kann diese Weisheit in fast jeden Bereich übertragen. Trotzdem hält sich der Glaube an die Überlegenheit der Giesskanne. Offenbar wurde uns die Gleichung „mehr ist besser“ schon früh eingepflanzt. Wenn wir in der Schule einen Aufsatz geschrieben hatten, prahlten wir in der Pause mit der Anzahl abgegebener Seiten.
Die UBS hat über lange Zeit die rechtlichen Grenzen geritzt und bisweilen bewusst überschritten. Der Katalog der damit eingehandelten Bussen ist eindrücklich. Was macht die UBS, um das Problem zu lösen? Sie stellt Compliance Officers ein. Ihre Abteilung Compliance & Operational Risk Control ist auf 1500 Stellen angewachsen. Damit wurde nicht nur ein gigantischer Kostenblock geschaffen. Die Compliance Offiziere machen auch den wertschöpfenden Stellen das Leben schwer. Auch das kostet. Ob dieses gigantische Flächenfeuer auch wirkt, kann man bezweifeln. Das Problem ist nicht die ungenügende Kontrolle, es liegt in einer „zerstörerischen Kultur“, wie es die NZZ ausdrückt. Für die Kultur ist die oberste Führung verantwortlich. Sie muss die Werte vorgeben, vorleben und die No go’s unmissverständlich definieren. Wer dagegen vestösst, muss wissen, dass er entlassen wird. Eine knallharte interne Revision sorgt für Ordnung im Haus. Das wirkt und ist vergleichsweise billig.
Zurzeit befinden sich 27 Verordnungen zum revidierten Lebensmittelgesetz in Vernehmlassung. Das Paket ist 16 Zentimeter dick und umfasst 2080 Seiten. Dabei geht es zwar zu 98 Prozent um den Nachvollzug von EU-Regulierungen, was die Behörden nicht daran hindert, noch Schweiz-spezifische Reglungen aufzupropfen. Auch hier stellt sich die Frage nach der Wirkung. Was ist besser: auch noch das letzte denkbare Schlupfloch zu regulieren, oder sich auf die Punkte zu konzentrieren, die wirklich Bedeutung haben?
Der Lehrplan 21 wurde gekürzt. In der Volksschule sollen nicht mehr 453 Kompetenzen vermittelt werden, sondern bloss noch 363. Das ist eine lobenswerte Reduktion. Aber es ist immer noch Flächenfeuer. Der Ökonom Vilfredo Pareto hätte geraten, die Kompetenzen nach ihrer Bedeutung zu rangieren und sich auf die wichtigsten zwanzig Prozent zu konzentrieren. Damit würden achtzig Prozent des Nutzens erreicht. Schulabgänger, die über fünfzig Kompetenzen verfügen, wären auf den Ernst des Lebens nicht schlecht vorbereitet.
Mary Barra war 18 Jahre alt, als sie bei General Motors anheuerte. Sie ist der Firma immer treu geblieben und machte eine steile Karriere. Im letzten Jahr wurde sie als erste Frau zum CEO einer grossen Automobilunternehmung ernannt. Die Kommentatoren der Wahl charakterisierten Mary Barra anhand einer Geschichte. Als sie HR-Chefin war, ersetzte sie einen zehnseitigen Dresscode durch zwei Worte: Angemessene Kleidung.
Benedikt Weibel