Kolumnen von Benedikt Weibel

Unterschiedliche Perspektiven

"Sonntag" 5. Oktober 2008

Historische Ereignisse verändern die Welt. 1989 der Fall des eisernen Vorhangs. Am 11. September 2001 der Einsturz der World Trade Türme in New York. Und jetzt der Zusammenbruch des Finanzsystems.

Ich verbrachte während der letzten Woche einige Tage in Grossbritannien. Das Thema war allgegenwärtig, die Sorgen über die Auswirkungen der noch immer unermesslichen Krise greifbar. A complete breakdown of the system, ein globaler Flächenbrand, da sind sich die Analysten einig. Nicht die Ursachen stehen im Vordergrund, sondern die Folgen. Sind Immobilien noch sicher, die Pensionskasse, die Sparguthaben, die Versicherungen? Ist Gold eine Alternative?

Zurück in der Schweiz lese ich die Zeitungen der vergangenen Tage nach. Und staune. Nach der Lektüre erinnere ich mich an den Kult-Film "If..." aus dem Jahre 1968. Er spielt in einem englischen Internat. In der Schlussszene steht das Gebäude in Flammen, was aber die Honoratioren der Schule in ihren Talaren nicht bekümmert. Stoisch wird die Schlussfeier zelebriert, ohne die einstürzenden Balken zur Kenntnis zu nehmen.

Die Finanzkrise wird wohl interessiert beobachtet. Die Apologeten der Effizienz freier Märkte winden sich und ihre ideologischen Gegenspieler haben es ja schon immer gesagt. Die wirklichen Probleme aber bleiben das Rauchen in Gaststätten, der obligatorische Kindergarten, der Verkauf von Katzenfellen, das Rüstungsprogramm. Und die Konjunkturforscher rechnen im schlechtesten Falle mit einer kurzen Rezession.

Dabei lassen sich jenseits aller Ideologie einige ganz nüchterne Feststellungen machen. Die Krise ist nicht vorbei und die Wahrscheinlichkeit, dass die Finanzwirtschaft die Realwirtschaft in den Strudel mitreisst, ist erheblich. Die Deckungsgrade der Pensionskassen sinken. Die Spielräume für die Lohnverhandlungen sind eng. Die Lohnbezüger werden sich zu Recht einmal mehr als die Geprellten vorkommen. Die Märkte verhalten sich manisch-depressiv. Ihre Selbstreinigungskraft hat Grenzen. Der Staat (the lender of the last resort) kann sich nicht erlauben, volkswirtschaftlich relevante Unternehmungen in den Konkurs treiben zu lassen (to big to fail). Deshalb sollten wir zum Staat Sorge tragen und ihn nicht bei jeder Gelegenheit verteufeln.

Schön, dass auf den Frontseiten der britischen Medien neben all den schlechten Nachrichten auch über ein historisches Ereignis in der Luftfahrt berichtet wurde. Der "Swiss Fusion Man" Yves Rossy, der mit seinen düsengetriebenen Tragflügeln den Ärmelkanal überquerte, gab ein schönes Bild ab.

Benedikt Weibel