Kolumnen von Benedikt Weibel

The Trend is your Friend

"Persönlich" 1. September 2015

Es war die klügste Entscheidung, die wir bei den SBB je getroffen hatten. Die sich üblicherweise träge entwickelnden Kundenbewertungen sprangen in die Höhe. Die Werte für das Klima im Zug, die Sauberkeit und das Platzangebot verbesserten sich markant. Und gleichzeitig sank der Aufwand. Wir hatten entschieden, das Rauchen aus den Zügen zu verbannen.

Etwa zwei Jahre vor dieser Entscheidung war ich beim 'Blick' für einen Chat geladen. Ein Leser stellte eine Frage über das Rauchen in den Zügen. Ich antwortete, der Trend sei unverkennbar. Es sei eine Frage der Zeit, bis in den Zügen nicht mehr geraucht werde. Das war dem 'Blick' anderntags eine Schlagzeile wert. Wir verfügten damals über einen untrüglichen Indikator, um den Trend zu erkennen. Im Reservationssystem für den TGV nahm die Nachfrage nach Raucherplätzen konstant ab. Schliesslich mussten Kunden mit Nichtraucherpräferenz auf Raucherplätze verwiesen werden. Der Entscheid für die Nichtraucher-Bahn wurde zur schieren Notwendigkeit. Was wenige Jahre vorher noch zur Polemik Anlass gegeben hatte, war zu Selbstverständlichkeit geworden. Das Echo in den Medien war mässig und wohlwollend.

Dass man damals die Raucherfrage zum Testfall für die Freiheitsrechte hochstilisiert hat, scheint heute grotesk. Dass die persönliche Freiheit beim Nachbar aufhört, weiss jeder Eigenheimbesitzer. Ein feines Essen im Dunst von Zigarren und Zigaretten kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Und das ist gut so.

Diese Geschichte lehrt uns: Erstens muss man den Trend früh erkennen. Uns zweitens den richtigen Zeitpunkt für eine adäquate Reaktion abwarten. Die wichtigste Eigenschaft, um eine Entwicklung zu erkennen, ist Neugier. Man muss viel und breit lesen: Zeitungen, Magazine, Blogs, Portale. Man muss die Signale im Rauschen erkennen. Wer das tut, der erkennt einen Megatrend im Bereich der Ernährung. „Zucker, Salz und Fett sind die drei schlimmsten Gifte des 21. Jahrhunderts“ kann man lesen. Laktose und Gluten sind die neuen Dämonen. Das trifft einige Giganten im Mark. Gerade hat MacDonald wieder einen neuen CEO bestellt, den vierten innert zehn Jahren. Auch er wird versuchen, das Image trendgrecht zu erneuern. Wer weiss, wie konservativ starke Brands sind, macht MacDo keine gute Prognose. Auch Coca-Cola steht nicht gerade für moderne Ernährung. Deshalb präsentiert die Firma ihre neue Kreation Cola Life in schönsten Magerwiesen. Das wirkt schon fast rührend, aber auch ein bisschen hilflos. Nestlé überprüft das Tiefkühlost-Angebot. Frozen Pizza hat keine Zukunft mehr. Jahrelang hat man ziemlich erfolglos versucht, ungesunde Essgewohnheiten mit erhobenem Zeigfinger zu bekämpfen. Und plötzlich ist er da, der Trend, und in seinem Windschatten erstürmen die Newcomer den Markt: Le Pain Quotidien, Sweetgreen, Burrito.

Aufatmen kann immerhin die Schokoladeindustrie. „Schoggi ist gut fürs Herz“ konnten wir diesen Sommer lesen.

Benedikt Weibel