Kolumnen von Benedikt Weibel
It’s all over now
"Persönlich" 1. Juli 2015
„Die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren das Jahrzehnt der Rockmusik.“ Hat Eric Hobsbawn geschrieben, einer der renommiertesten Historiker. Ich bin mit diesem Sound aufgewachsen. Davon zeugt noch immer ein grosser Schrank, gefüllt mit Tonträgern. Mein Geld habe ich in meinen jungen Jahren vorzugsweise für Platten und Bücher ausgegeben. Plattenläden waren meine Refugien. Bern war voll von ihnen, neben den Spezialgeschäften führte jedes Warenhaus eine Plattenabteilung. Ich erinnere mich noch haargenau an den Kauf der sagenhaften „Seargent Pepper’s Lonely Harts Club Band“ mit dem einzigartigen Cover. Ich sehe den Koffer-Plattenspieler im Mansardenzimmer. Lucy in the Sky with Diamonds. Wo immer ich war: Plattenläden waren in jeder Stadt meine erste Adresse. Ich weiss noch immer, welche Platte ich in London, New York oder Dublin gekauft habe.
Jahre später habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, am Samstag zu arbeiten. Bevor ich ins Büro ging kaufte ich, quasi zur Eigenmotivation, bei Jecklin einige CD’s. Die konnte ich im leeren Gebäude mit voller Lautstärke abspielen. Mit der Zeit kannte das Personal im Laden meinen Geschmack und hatte die besten Neuerscheinungen schon bereit gelegt. Über all die Zeit übrigens, haben sich die Preise für die Platten und später CD’s nicht wesentlich bewegt. Im Schnitt zahlte man pro Tonträger um die 30 Franken. Wenn ich in meinen Schrank schaue, ist da ein Anschaffungswert von einigen 10'000 Franken versammelt.
Nun stelle ich etwas Eigenartiges fest. Mein Interesse an der Musik schwindet. Seitdem ich jedes Musikstück gratis auf youtube sehen und hören kann, ist mir die Lust vergangen. Den Jecklin gibt’s ja auch schon lange nicht mehr. CD’s kaufe ich mir nur noch selten. Die These stimmt : was nichts kostet, ist nichts wert.
Noch mehr habe ich zeitlebens in Bücher investiert. Längst musste ich einen Numerus Clausus einführen. Für jedes neue Buch muss ein altes weg. Buchhandlungen liebe ich so sehr, wie ich Plattenläden geliebt habe. Es gibt sie noch, aber ihre Zukunft steht in den Sternen. Natürlich bin ich ein Nostalgiker, der sich Sorgen macht. Was soll ich denn in den unzähligen Schuhgeschäften, die heute die Mainsstreets unserer Städte prägen?
Der Ökonom Josef Schumpeter hat im Zusammenhang mit dem Aufkommen neuer Technologien von der schöpferischen Zerstörung gesprochen. Bei dem, was wir heute erleben, kann von „schöpferisch“ keine Rede mehr sein. Die Gratisökonomie zerstört den Lebensnerv ganzer Branchen. Was auf uns zukommt, wird mit der Wortschöpfung „Uberisierung“ treffend umschrieben. Neue Geschäftsmodelle werden ganze Wirtschaftszweige umpflügen. Sie treten auf wie ein Wirbelsturm, rach, rücksichtslos, aber nicht lokal, sondern weltumspannend. Ihre Schöpfer pflegen zwei Glaubenssätze: Monopole sind gut und Politik ist schlecht, weil sie den Fortschritt hemmt. Als alter Mann bin ich vielleicht dereinst froh, wenn es noch Schuhgeschäfte gibt.
Benedikt Weibel