Kolumnen von Benedikt Weibel
Si non e vero
"Persönlich" 1. Dezember 2014
Als Franz Huchel 1937 in Wien seine Lehre in einer Tabak- und Zeitungs-Trafik begann, führte ihn sein Lehrmeister in die Geheimnisse des Verkaufs ein: Erstens musst du das, was Du verkaufst, kennen. Am frühen Morgen musst du alle Zeitungen und Zeitschriften gelesen haben. Zweitens musst du dir Gewohnheiten und Vorlieben der Kunden einprägen. Das Gedächtnis ist das Kapital des Trafikanten. Wenn der Herr Dr. Freud in den Laden kommt, hast du seine Zeitung bereits in der Hand. Dann machst du ihn auf Artikel anderer Zeitungen aufmerksam, die ihn auch interessieren könnten. Und drittens verkauft ein guter Trafikant nicht einfach nur Tabak und Papier, er verkauft Genuss und Lust.
Was Robert Seethaler in seinem wunderbaren Roman „Der Trafikant“ erzählt, ist eine maximal verdichtete Lektion in Marketing und CRM. Am schwierigsten ist die Umsetzung des dritten Punktes. Das Instrument, um nicht Produkte, sondern Lebensgefühl zu verkaufen, ist die Geschichte. Zum Beispiel über das Fiji Wasser. Das wird 15'000 Kilometer über die Weltmeere transportiert, bevor es auf unserem Tisch landet. Das Wasser soll aus einem artesischen Brunnen auf den Fidschi-Inseln stammen. Was das ist, weiss zwar niemand, aber es beeindruckt. Der artesische Brunnen mache das Wasser frei von jeglicher Verschmutzung. Ein besonderes Abfüll-Verfahren verhindert einen Kontakt des Wassers mit der Atmosphäre. Deshalb ist dieses Wasser besonders gesund. Und besonders teuer. In einer Blinddemonstration landet Fiji Wasser allerdings auf dem letzten Platz. Testsieger ist das lokale Leitungswasser. Nicht weniger blumig sind die Geschichten über die Moleskine-Notizbücher. Schon Van Gogh, Hemingway und Chatwin sollen sie benutzt haben. Das war so offensichtlich ein Märchen, dass Van Gogh und Hemingway aus der Legende gestrichen wurden. Trotzdem kaufe ich dieses sündhaft teure Notizbuch.
Grosse Mode sind zurzeit Märchen mit der Ingredienz „Neuro“. Das Funktionieren eines Gehirns gehört zu den grossen ungelösten Fragen der Wissenschaft. Das hindert gelernte Ökonomen und Marketingspezialisten ohne neurologischen Background nicht daran, „Neuroeconomics“ und „Neuromarketing“ als neue, wegweisende Disziplinen anzupreisen. Mit kruden Experimenten gewonnene Erkenntnisse werden als Paradigmenwechsel verkauft. Gehirnregionen werden auf PowerPoint-Folien in die drei Kategorien Dominanz, Stimulanz und Balance aufgeteilt. Jede dieser Kategorien könne durch eine spezifische Farbe stimuliert werden. Im Vergleich dazu ist die Gliederung der Menschheit nach den zwölf Sternzeichen geradezu differenziert. Noch brachialer als diese Neuro-Marketingler gehen die Neuro-Ökonomen vor. Sie isolieren ein einziges Hormon, das Oxytocin, stellen damit Experimente an und verkünden revolutionäre Erkenntnisse.
Renommierte Wissenschaftler bezeichnen dieses Treiben als „Mischung von ad hoc Statistik mit story-telling, die als Wahrheit oder Erkenntnis präsentiert wird.“ Lukrativ ist es allemal.
Benedikt Weibel