Kolumnen von Benedikt Weibel

Gute Bürokratie, schlechte Bürokratie

"Persönlich" 1. November 2014

Heute habe ich in meinem Morgenblatt einen Artikel über einen aufstrebenden Jungpolitiker gelesen. Der habe Charisma im Sinne von Max Weber. Kein anderer Sozialwissenschaftler wird so viel zitiert, wie der vor 150 Jahren geborene Soziologe: Politik ist die Kunst des langsamen Bohrens dicker Bretter; die Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik; Macht ist die Möglichkeit, den eigenen Willen auch gegen den Widerstand anderer durchzusetzen; Disziplin ist promptes, automatisches und schematisches Gehorsam einer Vielheit von Menschen; sein Bild von der Entzauberung der Welt. Vor allem aber hat sich Max Weber als erster mit dem Phänomen der Bürokratie auseinandergesetzt.

Grund für das Vordringen bürokratischer Organisation, meint Max Weber, sei ihre Überlegenheit über jede andere Form. Sie zeichne sich durch Präzision, Schnelligkeit, Eindeutigkeit, Aktenkundigkeit, Kontinuierlichkeit, Diskretion, Einheitlichkeit, straffe Unterordnung sowie Ersparnisse an Reibungen und sachlichen und persönlichen Kosten aus. Moderne kapitalistische Unternehmungen seien ein Muster an straffer bürokratischer Organisation. Max Weber hat auch die dunkle Seite der Bürokratie erkannt. Bürokratische Organismen wuchern und verstärken ihre Macht. Ich erinnere mich, wie mir ein CEO von der Einführung der ISO-Zertifizierung geschwärmt hat, damals ein neues Instrument. Die Systematisierung der Prozesse habe nicht nur die Qualität, sondern auch die Effizienz seiner Produktion erhöht. Mittlerweile hat sich die ISO-Zertifizierung zu einem unübersichtlichen Geflecht von bürokratischen Normen und Abläufen entwickelt. Das Beispiel zeigt: Bürokratie wuchert überall, in Wirtschaft und Staat.

Kaum eine Firma hat ihre Prozesse so konsequent und kontinuierlich verbessert wie Toyota. Toyota unterscheidet zwei Arten von Bürokratie: die befähigende Bürokratie und die einengende Bürokratie. Die befähigende Bürokratie muss so effizient organisiert werden, dass die wertschöpfenden Aktivitäten möglichst wenig tangiert werden. Wenn ich von einem Spitzenmediziner höre, dass er in administrativen Abläufen versinkt, macht sein Spital etwas falsch. Gegen die Hydra der einengenden Bürokratie muss ein nie nachlassender Kampf geführt werden. Es wird vorgeschlagen, jedes Jahr eine „systematische Müllabfuhr“ zu organisieren. Der legendäre CEO von General Electric, Jack Welch, führte regelmässig eine Veranstaltung durch, die er „das jüngste Gericht gegen die Bürokratie“ nannte. Die Erfahrung zeigt, dass das systematische Ausmisten der „Administration“ jedes Mal wieder 20 Prozent Kosteneinsparung bringt. Das Thema ist sogar in Brüssel angekommen. Dort bemüht man sich ernsthaft, den „Kleinscheiss“ (wie die Normierung der Krümmung von Bananen) abzuschaffen. Ein ehemaliger Aldi-Manager ist noch konsequenter: „Eliminiert die „Klugscheisserabteilungen“ und deren epische Berichte und Zahlenbeigen!“

Benedikt Weibel