Kolumnen von Benedikt Weibel
Aus den Medien lernen
"Persönlich" 1. Juli 2014
Siemens ist eine der grössten Unternehmungen der Welt. Vor einigen Jahren wurde die Firma von einem Korruptionsskandal erschüttert. US-Fahnder endeckten 4283 illegale Zahlungen und protokollierten 332 dubiose Projekte, von der S-Bahn in Venezuela bis zum Kraftwerk in Israel. „Chronik eine Katastrophe“ titelte „Der Spiegel“ damals. Die beiden hochkotierten Konzernlenker, Aufsichtsratspräsident von Pierer, vor dem Sündenfall gar als Bundespräsident gehandelt, und der Vorstandsvorsitzende Kleinfeld mussten ihre Posten räumen. Die Geschichte kostete Siemens gegen zwei Milliarden Euro an Bussgeld und Honoraren für Anwälte und Wirtschaftsprüfer.
Als neuer Chef von Siemens wurde der Österreicher Peter Löscher vom Pharmakonzern Merk geholt. Nach zwei Gewinnwarnungen im letzten Jahr wurde auch er entsorgt. Sein Nachfolger Joe Kaeser ist wieder ein echter Siemensianer. Vor wenigen Wochen hat er seine „Vision 2020“ vorgestellt. Die NZZ hat darüber informiert. Man kann den Text positiv lesen als Aktionsprogramm für die Zukunft. Oder negativ als Liste der Fehler der Vergangenheit.
Bei Siemens wurde um des Umbaus willen umgebaut. Die Organisation wurde dadurch offensichtlich zu tief und unübersichtlich. Nun wir eine ganze Hierarchieebene gestrichen und an die Stelle von 16 operativen Divisionen treten noch neun der Konzernleitung direkt unterstellte Einheiten. Damit werden die Verantwortungen wieder klar geregelt. Kaeser ist überzeugt, dass dies zu mehr Ordnung, Disziplin und Marktnähe führt. Die neue Struktur ist einfach und transparent. Damit kann die übermässige Bürokratie abgebaut werden. Man rechnet mit einer jährlichen Kostenreduktion von einer Milliarde Euro. Besonderes Gewicht legt der neue Konzernchef auf die Unternehmungskultur. Dabei repetiert er aber gerade nicht das Mantra aller neuen Konzernchefs „wir brauchen eine neue Change-Kultur“. Er ruft auch nicht brachial „digitalisieren oder sterben“. Nein, es tönt erstaunlich altmodisch: die notorische Schwäche von Siemens liege in der operativen Disziplinlosigkeit, was immer wieder zu Sonderbelastungen geführt hat, so auch im ersten Quartal 2014. Mit dem modischen Aktionismus der Vergangenheit sind offenbar Milliarden verbrannt worden. Siemens geht nun mit einem „Back tot he Roots-Programm“ in die Zukunft: Möglichst einfache Struktur. Klar geregelte Verantwortungen. Disziplin in der Aufgabenerfüllung.
Siemens ist kein Einzelfall. Das neue Organisationsmodell der Zürcher Kantonalbank trug zwar den griffigen Namen „Simplex“ und wurde von teuren McKinsey-Beratern entwickelt. Inzwischen wurde das Rad bereits wieder zurückgedreht. Einen grösseren Motivationskiller kann man sich kaum vorstellen.
Das sind Kurzgeschichten über banale Managementfehler. Danke den Medien, die uns solche Lektionen für wenig Geld ins Haus liefern. Wenn wir dabei von den Fehlern anderer lernen, ist dieses Geld gut investiert. Erst recht, wenn wir auf teure Berater verzichten können.
Benedikt Weibel