Kolumnen von Benedikt Weibel
Symbolik oder Logik?
"Sonntag" 7. September 2008
Der Gotthard ist ein Mythos. Seit Jahrhunderten. Seit 1882 fährt die Eisenbahn durch den Berg und der Gotthard wurde zur wichtigsten alpenquerenden Transitachse Europas. Und weiter wurde gebaut und gelöchert, Strassen und Kavernen, das Reduit der Eidgenossenschaft. Gut hundert Jahre nach dem Bahntunnel folge der Strassentunnel und läutete ein neues Zeitalter ein.
Spät kam der Entscheid für eine moderne Bahnlinie. Es dauert daher noch immer Jahre, bis Züge auf einer Flachbahn durch die Alpen donnern. Das Erstaunliche ist, dass trotzdem auch heute noch weit mehr als die Hälfte des Gütertransits mit der Bahn durch die Schweizer Alpen fährt. Und das mit einer Produktionsanlage, die 126 Jahre alt ist.
Die politische Schlacht um den Gotthard fand 1994 statt. Die Alpeninitiative wurde vom Schweizer Volk gegen den Willen des politischen Establishements angenommen. Seither ist in der Bundesverfassung festgeschrieben, dass der Transitverkehr auf der Schiene abgewickelt werden muss und die Transitkapazität der Strassen nicht erweitert werden darf. Mittlerweilen sind Jahre vergangen, in denen man sich eingestehen musste, dass eine weitergehende Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene erst mit einer Eisenbahninfrastruktur, welche den Ansprüchen des 21. Jahrhunderts genügt, möglich ist.
Zum eigentlichen Symbol im Kampf zum Schutz der Alpen vor dem Transitverkehr ist die zweite Röhre des Strassentunnels geworden. Unter immer wieder anderen Vorzeichen ist die Diskussion darüber lanciert worden. Zuerst mit der Frage, warum es denn auf der Autobahn zwischen Schweden und Süditalien ein einziges, kurzes zweispuriges Stück geben muss, was immer wieder zu endlosen Staus führt. Fürchterliche Brandunfälle im Mont Blanc - und im Gotthard Strassentunnel lancierten die Diskussion um die Sicherheit zweispuriger, langer Tunnel. In der 28 jährigen Geschichte des Gotthard-Tunnels haben sich insgesamt 875 Unfälle mit 30 Toten ereignet und es gibt keinen Zweifel, dass richtungsgetrennte Tunnel sicherer sind.
Nun erfahren wir, dass der Gotthard Strassentunnel in 10 Jahren komplett saniert werden soll und dass dafür nur zwei Möglichkeiten erwogen werden: entweder das Nadelöhr ein ganzes Jahr oder während dreier Sommer schliessen.
Es lässt sich nicht wegdiskutieren: Die Gründe, das Tabu zu brechen werden immer zwingender. Natürlich spielen Symbole in der Politik eine gewichtige Rolle. Irgendwann muss sich aber jeder Politiker fragen, wie lange er sich gegen die Logik stemmen will.
Benedikt Weibel