Kolumnen von Benedikt Weibel
Buonasera
"Persönlich" 1. Mai 2014
Seit einem halben Jahrhundert inspiriert uns „persönlich“. Vor acht Jahren hat Thomas Sevcik über die älteste Marke der Welt, die katholische Kirche, geschrieben. Die Geschichte erzählt mehr über die Kraft eines Brands als dicke Lehrbücher. Deshalb habe ich den Artikel immer noch zur Hand.
Die katholische Kirche ist ein Megabrand. Im Zentrum ihrer Corporate Identity steht das Logo. Das Kreuz findet sich in Kirchen, Schulstuben, auf Berggipfeln und in tief geschnittenen Décolletés. Die Vorschriften für die Anwendung des Logos sind locker. Grösse und Behang können frei gewählt werden. Es gibt keine Brand-Polizei, welche die Einhaltung von Proportionen überprüft. Die sixtinische Kapelle in Rom ist ein einmaliger Flagshipstore. Tausende Touchpoints (Kirchen) markieren Präsenz. Über all dem steht ein mächtiger CEO als Brand Spokesperson: der Papst. Die Markenführung der katholischen Kirche, meint Sevcik, sei dynamischer als der Grossteil der heutigen CI-Strategien in der Dienstleistungsbranche.
Im März 2013 wurde der spröde Papst Benedikt durch eine neue Spokesperson ersetzt. Als sich Jorge Mario Bergoglio erstmals an die Gläubigen wandte, erschien er im schlichten weissen Gewand. Auf das rote Schultertuch und die Segensstola hatte er demonstrativ verzichtet. Während die Hymne des Vatikan gespielt wurde, blickte er mit ernstem Gesicht, in dem ein ganz leichter Anflug eines Lächelns erkennbar war, in die unübersehbare Menge auf dem Petersplatz. Das Lächeln wurde ein klein wenige breiter, als er die Gläubigen mit einem schlichten Buona Sera begrüsste. Sekunden nur, und er hatte die Welt erobert.
Es ist sein Gesicht. Es strahlt Güte aus, auch Heiterkeit. Gesichtserkennung war über Jahrhunderte eine überlebenswichtige Fähigkeit, denn es galt, Freund und Feind zu unterscheiden. Heute ist unsere erste intuitive Reaktion, wenn wir in ein fremdes Gesicht blicken, die Unterscheidung in sympathisch oder unsympathisch. Papst Franziskus hat die Zuneigung der Menschen im Sturm gewonnen. Vom „Time Magazine“ wurde er zum Menschen des Jahres erkoren. Erstaunlicher noch war sein Erscheinen auf dem Cover der Ausgabe 1002 des amerikanischen „Rolling Stone“. Ausgerechnet die weltweit bedeutendste Rock- und Popzeitschrift hat ihm die Titelgeschichte gewidmet, unterlegt mit dem Dylan Zitat „The Times They Are A-Changing“. Hat er in seinem ersten Jahr als Papst Dinge bewegt? Darüber wird kontrovers diskutiert. Die Antwort steht im österreichischen Nachrichtenmagazin „Profil“: 37 Prozent der Österreicher geben an, dass sich ihr Verhältnis zur katholischen Kirche seit dem Antritt von Papst Franziskus verbessert hat.
Es gibt immer wieder Stimmen, die behaupten, die Wirkungsmacht eines CEO werde überschätzt. Papst Franziskus hat diese These ein für allemal widerlegt. Er zeigt, wie es geht. Es ist das Gesicht und die über Jahrtausende erlernte Fähigkeit der Menschen, Gesichter zu lesen. Und ein falsches Lächeln zu enttarnen.
Benedikt Weibel