Kolumnen von Benedikt Weibel

Ode an die NZZ

"Persönlich" 1. Dezember 2013

Am Anfang stand der Zwang. Ohne intensive Lektüre der NZZ konnte die Prüfung in praktischer Nationalökonomie nicht bestanden werden. Wo sonst konnte man sich über die jüngsten Entscheide des Federal Reserve Boards informieren? Das ist lange her. Seither ist die NZZ zur täglichen Begleiterin geworden. Noch immer gilt, dass man sich ohne Lektüre der NZZ keinen umfassenden Überblick über das globale Wirtschaftsgeschehen verschaffen kann. Heute versuche ich in meinen Vorlesungen die jungen BWL - Studentinnen und Studenten zum Zeitungslesen zu animieren. Die Botschaft ist immer noch: wer in die Wirtschaft will, muss die NZZ lesen.

Mit dieser Meinung stehe ich nicht allein. Umfragen bei Pressesprechern und PR-Profis zeigen immer das gleiche Bild. An welchen Medien kommt man nicht vorbei? NZZ auf Platz 1. Sachliche Exaktheit? NZZ auf Platz 1. Fairness? NZZ auf Platz 1. Einfluss? Kleiner Einbruch, NZZ nur auf Platz 3. Wenn das Label „Qualitätsjournalismus“ auf eine Zeitung zutrifft, dann auf die NZZ. Keine Zeitung hat ein so klares und unverwechselbares Profil und einen so starken Brand. Trotzdem reagiert die NZZ auf die Herausforderung der digitalen Revolution wie ein aufgeschrecktes Wild. Wie Medien berichten, tobt in der Unternehmungsleitung der NZZ ein Machtkampf entlang der Linie Print/Online. Offenbar setzt das Management die Priorität auf Online. Dieses Angebot soll massiv ausgebaut werden. Dagegen soll der Umfang der Zeitung abnehmen.

Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass man starke Brands schon mit kleinen Retouchen gefährdet. Mit „New Coke“ wollte Coca Cola die gegenüber Pepsy schlechteren Resultate in Blindtests korrigieren. Das mit immensem Aufwand betriebene Projekt gilt heute als einer der grössten Flops der Marketinggeschichte. Meine Herren von der NZZ: Die NZZ ist eine Zeitung! Mit ihrer klaren Positionierung passt sie mehr schlecht als recht in die digitale Welt. Natürlich sind die Digital Natives auf Online fixiert. Aber die Digital Natives haben gelernt, dass Nachrichten im Netz gratis sind. Es ist einfacher, sie von der Notwendigkeit einer Zeitung zu überzeugen, als sie zu zahlenden Onlinekunden zu machen. Noch viel klarer ist die Situation bei den Oldies, wie ich einer bin. Wir wollen die Zeitung und nicht in der abgespeckten Form. Übrigens: wie die NZZ immer wieder berichtet, soll dieser Bevölkerungsanteil in Zukunft massiv zunehmen.

Neulich hatte ich ein Gespräch mit einem renommierten Journalisten (nicht von der NZZ). Er meinte, sein Top-Management interessiere sich nur um EBIT – Margen, aber kaum um das Produkt. Die grösste Ikone der digitalen Welt, Steve Jobs, hat kurz vor seinem Tod gesagt, er habe immer grossartige Produkte herstellen wollen. Damit habe man gutes Geld verdient. Wenn man diese Reihenfolge umkehre, sei alles anders, die Leute, die man anstellt, wen man befördert und was man in den Meetings diskutiert. Mit diesem Credo hat er Apple zur wertvollsten Firma der Welt gemacht.

Bitte: nehmt mir meine NZZ nicht weg!

Benedikt Weibel