Kolumnen von Benedikt Weibel
Wunden lecken
"Persönlich" 1. November 2013
Versteinert blicken die abgewählten Freien Demokraten nach der Wahl in Deutschland ins Leere. Seit jeher war die Partei im Bundestag vertreten, die meiste Zeit in der Regierung und nun dieses Debakel. Der abtretende Parteichef der Liberalen spricht Klartext. Die FDP wurde nicht nicht wieder gewählt, sie wurde abgewählt und zwar sehr bewusst. 93 Abgeordnete und hunderte Mitarbeiter stehen vor einer ungewissen Zukunft. Warum? Die Erklärungsversuche wirken hilflos. Gut deshalb, dass die Schweizer Liberalen den Überblick behalten haben. „Die deutsche FDP hat alles falsch gemacht“, meint ein ehemaliger Präsident der Freisinnigen Partei der Schweiz, deren Wählerbasis ebenfalls bedenklich schwindet. Die NZZ erteilt konstruktive Ratschläge. Man müsse einer desinteressierten Öffentlichkeit klar machen, dass Liberalismus nicht Egoismus sei, sondern ein kluges ordnungspolitisches Prinzip, von dem gerade die Schwächsten profitieren würden.
Nun dürfte es einigermassen schwer fallen, dieser desinteressierten Öffentlichkeit schon nur den Lieblingsbegriff der Liberalen, die “Ordnungspolitik“, näher zu bringen. Dieses Wort ist derart abstrakt, dass ein Grundstudium in Politologie kaum ausreicht, um es zu verstehen. Wir staunen, dass Liberalismus nichts mit Egoismus zu tun haben soll. Da haben wir seinerzeit im Ökonomieunterricht wohl geschlafen. Es ist nicht lange her, da hat ein frisch gewählter Präsident des NZZ Verwaltungsrates bei seiner Antrittsrede die zehn publizistischen Regeln für den journalistischen Alltag seiner Zeitung präsentiert. Regel Nummer 1: „Im Zweifel für das Individuum und gegen das Kollektiv. Es geht darum, das Kollektiv nicht als übergeordneten Selbstzweck zu sehen, sondern als ein dem Individuum dienendes gesellschaftliches Instrument.“ Das ist immerhin nicht ganz so radikal wie Margret Thatcher, welche der Meinung war, eine Gesellschaft existiere gar nicht. Nüchtern betrachtet hat der Liberalismus ganze Sache geleistet. Die Tendenz zum Individualismus ist ungebrochen. Der Begriff der Solidarität hat ausserhalb der Versicherungswirtschaft einen leichten Geruch erhalten. Wer sich für die sogenannte Gesellschaft einsetzt, wird abfällig als Gutmensch tituliert.
Vor 50 Jahren herrschte noch brutale Systemkonkurrenz. Der Deutsche Wirtschaftsminister und spätere Kanzler Ludwig Erhard gilt als Vater des Wirtschaftswunders. Sein Rezept war die „Soziale Marktwirtschaft“. Heute gibt es keine Systemkonkurrenz mehr. Es ist allseits akzeptiert, dass der Markt das einzige System ist, welches zu einem effizienten Ressourceneinsatz führt. Angela Merkel steht fest auf dem Boden der Sozialen Marktwirtschaft. Trotzdem muss sie sich gefallen lassen, von den „Ordnungspolitikern“ als Sozialistin betitelt zu werden.
Viele Unternehmungen haben mittlerweile festgestellt, dass etwas fehlt. Heute leistet man sich ein CSR Programm. Global Social Responsability tönt besser als Solidarität.
Benedikt Weibel