Kolumnen von Benedikt Weibel
Was Menschen wollen
"Persönlich" 1. September 2013
Wo auch immer eine Umfrage über die Bedürfnisse von Arbeitnehmern durchgeführt wird, es sind immer zwei Faktoren, die zuoberst auf der Liste stehen: Man will eine Arbeit leisten, die Sinn macht und man erwartet dafür gebührende Wertschätzung.
Alles klar also. Man muss den Mitarbeitenden eine sinnvolle Arbeit zuweisen und ihnen Wertschätzung entgegenbringen. Nur, was bedeutet dieser omnipräsente Begriff Wertschätzung eigentlich? Wenn wir darüber diskutieren, erfahren wir das Elend von abstrakten Begriffen: jede und jeder interpretiert sie auf eigene Weise. Wir beginnen zu definieren und fügen weitere abstrakte Begriffe hinzu. Wertschätzung hat etwas mit Interesse, Respekt und Anerkennung zu tun. Wenn eine Chefin Wertschätzung erweisen will, muss sie sich für die Arbeit ihres Mitarbeiters interessieren. Dafür muss sie den Mitarbeitenden an seinem Arbeitsplatz aufsuchen. Dort erfährt sie, was der Mitarbeiter tut und welchen Herausforderungen er zu bewältigen hat. Erst dieses Interesse ermöglicht, den Beitrag des Mitarbeiters im Ganzen zu erkennen. Das Interesse der Chefin und die gewonnenen Kenntnisse über die Aufgabenerfüllung führen zu Respekt und Anerkennung. Wertschätzung beinhaltet auch den Respekt des Privatlebens der Mitarbeitenden. Wenn ein CEO erwartet, dass seine Leute 24 Stunden im Tag verfügbar sind, ist das ziemlich genau das Gegenteil von Wertschätzung.
Jeder auch so mächtige CEO muss sich bewusst sein, dass sein Leistungsausweis von den unzähligen Beiträgen des Personals abhängt. Der beste Dirigent ist ohne seine Musiker nichts wert. „Wertschätzung entgegenbringen“ ist zeitintensiv. Man muss sich systematisch „an die Front“ begeben, wie man so schön sagt. Der CEO von Starbucks besucht jede Woche 25 Filialen. Dort findet sich das gesammelte Wissen über die Kundinnen und Kunden. Dort spürt man, wenn etwas an den Abläufen nicht stimmt. Nur so kann man den Filter aushebeln, der in grösseren Unternehmungen verhindert, dass schlechte Nachrichten nach oben kommen. „Wertschätzung entgegenbringen“ kann man nicht einfach anlernen. Mitarbeitende haben ein untrügliches Sensorium dafür, was echt ist. Gespielte Wertschätzung entlarvt sich schnell als herablassend oder anbiedernd.
Wertschätzung hat unlängst die Freunde des Fussballs beschäftigt. Uli Forte hatte als Trainer mit GC überraschenden Erfolg. Das hinderte ihn nicht daran, noch vor dem letzten Spiel mit seiner Mannschaft den Wechsel zu YB bekannt zu geben. Als Begründung für den überraschenden Schritt gab er mangelnde Wertschätzung bei GC bekannt. Was von den GC-Funktionären umgehend zurückgewiesen wurde. Man sei soweit wie möglich auf die Wünsche des Trainers eingegangen, und das sei ein Zeichen für Wertschätzung gewesen. Diese Geschichte belegt die Ambivalenz des Begriffes, aber auch die hohe Bedeutung von Wertschätzung. Wertschätzung war nämlich der Grund für den Stellenwechsel und nicht etwa, wie Schandmäuler behaupten, die Verdoppelung des Lohnes für den Trainer.
Benedikt Weibel